Freitag, 9. Januar 2009

Aden





06. 01. 2009

Ich bin im südlichen Aden gelandet und habe das Gefühl, in einem anderen Land zu sein. Unweit der vormaligen DDR-Botschaft, in der ich Quartier beziehe, stehen dreistöckige Holzhäuser, unterteilt in kleine Wohnparzellen. Die nicht mehr genutzte Paradestraße mit Tribüne führt breitspurig in die verschiedenen Viertel der Halbinsel, wo britische Kolonialbauten an eine Zeit erinnern, als Aden noch einer der wichtigsten Häfen des Welthandels war.





Mittlerweile wirkt die Stadt wie eine Ahnung ihrer Vergangenheit. Die Atmosphäre ist fast karibisch. Die winterliche Sonne schraubt die Temperatur in den Straßen bis auf 28 Grad. In den Winden riecht man das Meer. Die Luftfeuchtigkeit ist hoch und jeder Schritt schweißtreibend. Von den einst prächtigen Fassaden, bröckelt der Putz. Obst, Gemüse, Weihrauch dünsten in den Auslagen. Entfernt man sich nur eine Gasse von den Verkaufsstraßen, beginnen provisorisch zusammen gezimmerte Häuser, verfallene Baracken. Kuba fällt mir ein. Alte, vor die Türen gestellte Sessel zeigen ihre Federn. Bettgestelle stehen daneben für die nachmittägliche Qat-Zeit. Das Kauen war unter der sozialistischen Regierung verboten, allenfalls am Wochenende erlaubt. Erst seit der Wiedervereinigung des Jemen im Jahr 1990 brachte der Norden diese tägliche Gewohnheit an den Golf von Aden, darin siegreicher als in der Politik. Denn wer auch immer mich anspricht, von den Jugendlichen bis zu den alten Fischhändlern in der Markthalle, will zwei Dinge von mir hören. Erstens, daß ich aus dem Osten Deutschlands komme und zweitens, daß ich Aden schöner und moderner finde als Sanaa. In den Köpfen ist die Wiedervereinigung nach wie vor nicht vollzogen. 1994 gab es einen letzten Bürgerkrieg zwischen Nord und Süd, seitdem fügen sich die Menschen hier zähneknirschend.





„Das ist wie bei euch in Deutschland“, sagt Badradin, ein älterer Mann, der mit zwei Freunden auf dem Bürgersteig um einen Essenstopf sitzt und Brot hinein tunkt. „Bei euch hat der Westen den Osten versklavt, bei uns der Norden den Süden. Als 1967 die Briten abzogen und die Volksrepublik hier gegründet wurde, war Sanaa noch ein Dorf, das hinter Mauern lag. In Aden gingen die Frauen in kurzen Röcken spazieren und hatten die gleichen Rechte wie die Männer. Heute finden die meisten es schon abartig, wenn eine Frau nur ihr Gesicht zeigt. Da drüben gab es sogar eine Bierfabrik. Die haben sie auch zerstört.“ Dann will er wissen, warum Frau Merkel immer zu Israel hält? Geschichte hin oder her, Deutschland dürfe die Augen vor der aktuellen Realität nicht verschließen. Währenddessen schickt Sabafon, eine der Telekommunikationsfirmen, mir wie seit einer Woche jeden Tag eine SMS mit der Aufforderung Blut für die Opfer im Gazastreifen zu spenden.





Abends gibt es im Hof der alten DDR-Botschaft, in der sich nun das Deutsche Haus und ein französisches Kulturzentrum befinden, eine Lesung mit mir und Michael Roes. In den Bäumen tummeln sich Unmengen von Krähen, schreien, ziehen Muster in den abendlichen Himmel, bis jemand sie mit dem Luftgewehr vertreibt. Auf den Stühlen vor uns sitzen knapp 30 Zuhörer. Wir lesen beide eine Seite aus einem unserer Bücher auf Deutsch, dann trägt ein jemenitischer Mitarbeiter des Deutschen Hauses unsere jeweils 18 Minuten lange Texte vor. Zu lange dauert das zumindest dem einzigen Vertreter des jemenitischen Schriftstellerverbandes in Aden, dessen erste Frage lautet: „Dauern Lesungen in Deutschland immer so lang?“ Das sei doch langweilig ohne Ende, so zuhören zu müssen. Jemand anders meldet sich zu Wort und erwidert, gerade die Araber hätten doch eine Tradition des Erzählens und Zuhörens. Unser Mann vom Schriftstellerverband scheint aber keine Verbindung zwischen unserem Vortrag und der arabischen Tradition des Erzählens ziehen zu können und macht ein unzufriedenes Gesicht. Andere Zuhörer hingegen interessieren sich für unsere Texte, wollen wissen, ob wir hiesige Autoren gelesen haben? Eine jemenitische Studentin fühlt sich von meinem Text "Beobachtungen", in dem ein Mann andere Menschen verfolgt, angesprochen. Auch sie denke ständig darüber nach, was fremde Menschen umhertreibe, wie das Leben der anderen aussehe. Um die Stehlampen auf dem Tisch kreisen zwei Fliegen, als suchten sie gemeinsam mit uns nach Antworten. Schwierig wird die Diskussion, als der Begriff "Ironie" ins Spiel kommt. Was für einen deutschen Leser sofort als Distanzierung verständlich scheint, nehmen die jemenitischen Zuhörer als Verärgerung des Protagonisten wahr. Womit wir bei den Problemen der Übersetzung per se wären. Für eine erste Annäherung ein großer Schritt.