Donnerstag, 1. Januar 2009

Ankunft



01.01.2009
(28. 12. 2008)

Der 3d-Animation auf dem Bildschirm war zu entnehmen, daß wir über das Rote Meer flogen und nun Kurs auf den Jemen nahmen. Neben mir betete ein Mann. Er war während des vierstündigen Fluges von Istanbul aus nur einmal kurz eingenickt, die restliche Zeit hatte er laut im Koran gelesen, die Hände über dem Schoß geöffnet. Ich war derweil mit arabischen Vokabeln beschäftigt gewesen, hatte sie mir über meinen mp3-Spieler vorsprechen lassen. Zweimal war ich allerdings hochgeschreckt, als der Mann ruckartig den Kopf gehoben und auf den Fernseher, in dem „Die Mumie“ lief, gestarrt hatte. Anschließend war ihm langsam das Kinn auf die Brust gesunken und er hatte sich erneut dem Koran gewidmet.
Er war einer der wenigen Jemeniten, die mit im Flugzeug saßen. Etwa 90% waren Europäer. Ich hörte Italienisch, Polnisch, Deutsch. Schwer zu sagen, ob es sich um Touristen handelte oder um Menschen, die in Sanaa ihrer Arbeit nachgingen, für den Entwicklungsdienst arbeiteten oder Freunde besuchten.
Draußen näherte sich allmählich das Festland. Vielleicht weil Weihnachten noch nicht lange zurück lag, erinnerten mich die verstreuten gelblichen Punkte unten an eine Lichterkette, die ein wirres Muster über das dunkle Land zog. Nach einigen Minuten verschwand das vereinzelte Glühen wieder, und nur die Leuchte am Flügel blinkte sekündlich auf, bis wir endlich tiefer sanken und auch Sanaa sich als dezente Lichterkette zeigte. Kein Meer aus Glühbirnen, Strahlern, Leuchtstoffröhren, nur sporadisch gesetzte Flämmchen, ein zurückhaltendes Licht, als liege ein ockerfarbener Filter über der Stadt.
Anderthalb Stunden nach Mitternacht landeten wir. Der Mann neben mir klappte den Koran zu und lächelte mich an.
„Willkommen im Jemen“, sagte er auf Englisch.







An einem Schalter in der Ankunftshalle lehnte ein kleines gelbes Schild auf dem „Visa“ stand. Ich stellte mich in die Schlange, wartete. Als ich an die Reihe kam, meinen Luxemburger Paß vorzeigte, waren beide Beamte verwirrt.
Luxemburg?
Sie baten mich zur Seite zu treten und begannen, die Nächsten abzufertigen. Ich drängte zurück ans Schalterfenster, versuchte zu erklären, wo Luxemburg liege, erwähnte Deutschland, aber es half nichts. Trotzdem ließ ich nicht locker, bis einer der Beamten zum Telefon griff. Wenig später schritt ein kleiner uniformierter Mann auf mich zu, grüßte freundlich, schaute auf den Paß, sagte zweimal: „Luxemburg, Luxemburg“, und ich bekam mein Visum. Was an seinem „Luxemburg“ anders geklungen hatte als an meinem, habe ich nicht herausgefunden, aber ich durfte zum Schalter für die Paßkontrollen, wo der dort agierende Beamte meinen Ausweis mit einem falschen Einreisekärtchen verglich und über zwei verschiedene Namen erstaunt war, bis ich das Mißverständnis aufklärte, und wir beide lachten. Dann allerdings begann die Luxemburg-Frage erneut akut zu werden. Wie viele Monate Aufenthaltsrecht räumte man so einem Luxemburger ein? Abermals wurde der kleine Uniformierte um Rat gefragt. Kopfschüttelnd zeigte er vorne auf den Paß auf dem „Europäische Union“ steht, verdrehte die Augen, ehe er sich an mich wandte und in Englisch sagte: „Europäer bekommen doch alle das Gleiche.“
„Drei Monate“, rief der Beamte hinterm Schalter laut und ließ seinen Stempel auf meine Papiere knallen.




Draußen wartete Said mit einem Fahrer auf mich. Er arbeitet für das Deutsche Haus in Sanaa, dem ich meine Autorenresidenz im Jemen verdanke. Der Fahrer wollte sogleich wissen, ob ich arabisch spreche. Ich verneinte, korrigierte dann, ich könne etwa „Ja“ und „Nein“ sagen oder auch „Aiwa, al Akkl tamam“, ja, das Essen ist gut. Gelächter.
Zügig ging es über eine große Straße mit geschlossenen Geschäften auf beiden Seiten. Außer dem Militär, das den Flughafen bewachte und die Polizeistation war niemand auf der Straße zu sehen. Sanaa wirkte wie ausgestorben. Die Häuser aus gebrannten Ziegeln hielten sich mehrstöckig neben der Straße, verziert mit Gipsornamenten, in denen die künstlichen Lichter hockten wie seltene Vögel. Wir fuhren durch die Saila, das gepflasterte Trockenbett, das nur bei heftigem Regen Wasser führt, ansonsten als Straße genutzt wird. Der Fahrer parkte, Said schulterte meinen Koffer und an einem großen Garten vorbei gingen wir zum Haus, in dem ich für die nächsten vier Wochen wohnen werde.