20. 01. 2009
Ich fahre mit Salim, dem Übersetzer, die Zubayri Straße hoch bis zum Sabafon-Gebäude, einem verglasten Betonklotz, auf dem sich rot-weiße Antennentürme erheben. Direkt dahinter, umschlossen von einer Mauer beginnt der Slum der Akhdam. Am Eingang, wo sich der Müll längs der Wand türmt und einen unangenehmen Geruch verströmt, bietet Ahmet uns seine Hilfe an. Er trägt eine zerfetzte Hose und ein verdrecktes Sakko über dem nackten Oberkörper, schaut ernst, geht schnell voran, führt uns tiefer und tiefer in die zum Teil nur schulterbreiten Gassen, die zwischen den viereckigen Hausklötzen übrig geblieben sind. Die meisten dieser Unterkünfte sind zwischen 10 und 12 Quadratmeter groß, einige aufgeräumt so gut es geht und mit einer Matte zum Schlafen in der Ecke, andere voll gestopft mit scheinbar Unbrauchbarem, aufgeschlitzten Teddybären, halben Autoreifen, Brettern, Flaschen.
Ich frage Ahmet, wo er denn schlafe.
„Hier“, sagt er und zeigt auf die Stelle kahlen Bodens, die nicht von Unrat bedeckt ist.
„Ohne Matratze?“
„Die hängt draußen zum Trocknen“, antwortet er.
Die Decke ist so niedrig, daß ich nicht aufrecht stehen kann und besteht aus Ästen, auf denen Blech liegt. Ahmet führt uns auf die erste Etage, einen Aufbau, der leer ist, dessen Boden aber gefährlich wippt, so daß Salim mich bittet, schnellstens wieder hinauszugehen.
Zwischen 4000 und 7000 Menschen leben hier, keiner kennt die genaue Zahl. Auf den Dächern türmen sich Plastikplanen, Steine, Müll und Satellitenschüsseln. Müssen die Bewohner auch das Wasser von einer Stelle holen und mit Kanistern nach Hause tragen, Elektrizität gibt es in so gut wie jedem Haushalt. Überall hängen die Kabel wie Schlingpflanzen von den Masten herab, schwingen sich zu den Unterkünften, in denen die Fernseher laufen. Je tiefer wir zwischen die Hausblöcke dringen, desto stärker wird der Geruch nach Abfall. Fliegen umkreisen uns in Schwärmen. Die Kinder verfolgen uns, verdreckt, verwahrlost, freuen sich, daß Fremde zu ihnen gekommen sind.
„Gehen alle Kinder zur Schule?“ frage ich einen Mann, den man mir als Sheikh des Ortes vorstellt. Er bejaht, behauptet, Mädchen wie Jungen würden hier vor Ort unterrichtet, sogar eine Schule für die Älteren, die nie lesen und schreiben gelernt hätten, gebe es. Er holt den Schlüssel, schließt eine Tür zu einem Hof auf, der wiederum zu einer Rumpelkammer führt, in der Schulbänke übereinander getürmt sind und die Tafel in der Ecke steht. Hier hat schon lange kein Unterricht mehr stattgefunden, dessen bin ich mir sicher. Aber der Sheikh beharrt darauf, daß hier alle unterrichtet werden. Dann zeigt er mir ein Häuschen, in dem die allernötigste medizinische Hilfe gewährleistet werden kann. „Wir machen hier Spritzen, erklären den Frauen, wie sie hygienisch kochen sollen.“ Sehen kann ich den Bereich nur von außen. Jemand anders hat den Schlüssel und ist gerade nicht erreichbar.
Kleine Verkaufsbuden haben ihre Metalläden zwischendrin geöffnet, bieten das Nötigste an. Die Frauen waschen auf den Dächern, Wasser stürzt plötzlich herab, trifft den Übersetzer. Eine Frau ruft im Vorübergehen: „Toiletten haben wir nicht, wir tragen unsere Exkremente in Behältern auf dem Kopf bis hinten zum Hügel.“ Viele grüßen freundlich, andere schreien, rufen wirres Zeug. In einer kleinen Gasse verlangt ein Mann 5 Rial von seinem Nachbarn (Zum Vergleich 1 Euro sind 275 jemenitische Rial). Der Nachbar mit rechteckig gestutztem Bart verweigert das Geld. Die Diskussion wird lauter, eskaliert. Der Bittsteller zieht seinen Krummdolch, sticht zu, verletzt den Nachbarn an der Hand. Der wiederum greift wütend nach einem dicken Stein. Jemand geht dazwischen. Der Übersetzer sagt: „Bloß weg hier!“
Überall stoße ich mich. Hier sind Schnüre gespannt, dort ragt ein Metallteil aus der Wand, hier hängen lose Bretter herab, dort bilden Kabel eine Falle. Eine Frau mit blau geschminkten Lippen zeigt mir das verbrannte Bein ihrer fünfjährigen Tochter.
„Was macht ihr, wenn ihr ins Krankenhaus müßt?“ frage ich. Schließlich gibt es keine Hilfe umsonst.
„Wir leihen uns das Geld zusammen und versuchen es später zurückzuzahlen“, sagt jemand. „Von außen gibt es keine Unterstützung, von niemandem bekommen wir etwas.“
Die ersten dieser Steinbaracken wurden vor 30 Jahren gebaut, alle illegal. Das Land gehört der Regierung, die es den Akhdam mittlerweile überlassen hat. Hier heraus schafft es kaum einer. Hier werden sie geboren und hier sterben sie.
Woher genau die Akhdam herstammen, ist nicht belegt. Die wahrscheinlichste Erklärung besagt, daß sie im 6. Jahrhundert als Soldaten aus Äthiopien kamen und nach einem mißlungenen Eroberungsversuch gezwungen waren, als Sklaven zu bleiben. Akhdam ist das arabische Wort für „Diener“. Ihre Hautfarbe ist deutlich dunkler als die der Jemeniten, und die einzigen Jobs, die sie ausüben sind Straßenkehren, Müllabfuhr, Soldatenhandwerk und Betteln, wobei letzteres ausdrücklich als Beruf genannt wird. Sie haben so gut wie keine Chance gesellschaftlich aufzusteigen, ihre Bildungsmöglichkeiten gehen gegen Null und ihr täglicher Überlebenskampf läßt wenig Zeit für andere Gedanken, als diejenigen, die sich ums Essen drehen.
Ich fahre mit Salim, dem Übersetzer, die Zubayri Straße hoch bis zum Sabafon-Gebäude, einem verglasten Betonklotz, auf dem sich rot-weiße Antennentürme erheben. Direkt dahinter, umschlossen von einer Mauer beginnt der Slum der Akhdam. Am Eingang, wo sich der Müll längs der Wand türmt und einen unangenehmen Geruch verströmt, bietet Ahmet uns seine Hilfe an. Er trägt eine zerfetzte Hose und ein verdrecktes Sakko über dem nackten Oberkörper, schaut ernst, geht schnell voran, führt uns tiefer und tiefer in die zum Teil nur schulterbreiten Gassen, die zwischen den viereckigen Hausklötzen übrig geblieben sind. Die meisten dieser Unterkünfte sind zwischen 10 und 12 Quadratmeter groß, einige aufgeräumt so gut es geht und mit einer Matte zum Schlafen in der Ecke, andere voll gestopft mit scheinbar Unbrauchbarem, aufgeschlitzten Teddybären, halben Autoreifen, Brettern, Flaschen.
Ich frage Ahmet, wo er denn schlafe.
„Hier“, sagt er und zeigt auf die Stelle kahlen Bodens, die nicht von Unrat bedeckt ist.
„Ohne Matratze?“
„Die hängt draußen zum Trocknen“, antwortet er.
Die Decke ist so niedrig, daß ich nicht aufrecht stehen kann und besteht aus Ästen, auf denen Blech liegt. Ahmet führt uns auf die erste Etage, einen Aufbau, der leer ist, dessen Boden aber gefährlich wippt, so daß Salim mich bittet, schnellstens wieder hinauszugehen.
Zwischen 4000 und 7000 Menschen leben hier, keiner kennt die genaue Zahl. Auf den Dächern türmen sich Plastikplanen, Steine, Müll und Satellitenschüsseln. Müssen die Bewohner auch das Wasser von einer Stelle holen und mit Kanistern nach Hause tragen, Elektrizität gibt es in so gut wie jedem Haushalt. Überall hängen die Kabel wie Schlingpflanzen von den Masten herab, schwingen sich zu den Unterkünften, in denen die Fernseher laufen. Je tiefer wir zwischen die Hausblöcke dringen, desto stärker wird der Geruch nach Abfall. Fliegen umkreisen uns in Schwärmen. Die Kinder verfolgen uns, verdreckt, verwahrlost, freuen sich, daß Fremde zu ihnen gekommen sind.
„Gehen alle Kinder zur Schule?“ frage ich einen Mann, den man mir als Sheikh des Ortes vorstellt. Er bejaht, behauptet, Mädchen wie Jungen würden hier vor Ort unterrichtet, sogar eine Schule für die Älteren, die nie lesen und schreiben gelernt hätten, gebe es. Er holt den Schlüssel, schließt eine Tür zu einem Hof auf, der wiederum zu einer Rumpelkammer führt, in der Schulbänke übereinander getürmt sind und die Tafel in der Ecke steht. Hier hat schon lange kein Unterricht mehr stattgefunden, dessen bin ich mir sicher. Aber der Sheikh beharrt darauf, daß hier alle unterrichtet werden. Dann zeigt er mir ein Häuschen, in dem die allernötigste medizinische Hilfe gewährleistet werden kann. „Wir machen hier Spritzen, erklären den Frauen, wie sie hygienisch kochen sollen.“ Sehen kann ich den Bereich nur von außen. Jemand anders hat den Schlüssel und ist gerade nicht erreichbar.
Kleine Verkaufsbuden haben ihre Metalläden zwischendrin geöffnet, bieten das Nötigste an. Die Frauen waschen auf den Dächern, Wasser stürzt plötzlich herab, trifft den Übersetzer. Eine Frau ruft im Vorübergehen: „Toiletten haben wir nicht, wir tragen unsere Exkremente in Behältern auf dem Kopf bis hinten zum Hügel.“ Viele grüßen freundlich, andere schreien, rufen wirres Zeug. In einer kleinen Gasse verlangt ein Mann 5 Rial von seinem Nachbarn (Zum Vergleich 1 Euro sind 275 jemenitische Rial). Der Nachbar mit rechteckig gestutztem Bart verweigert das Geld. Die Diskussion wird lauter, eskaliert. Der Bittsteller zieht seinen Krummdolch, sticht zu, verletzt den Nachbarn an der Hand. Der wiederum greift wütend nach einem dicken Stein. Jemand geht dazwischen. Der Übersetzer sagt: „Bloß weg hier!“
Überall stoße ich mich. Hier sind Schnüre gespannt, dort ragt ein Metallteil aus der Wand, hier hängen lose Bretter herab, dort bilden Kabel eine Falle. Eine Frau mit blau geschminkten Lippen zeigt mir das verbrannte Bein ihrer fünfjährigen Tochter.
„Was macht ihr, wenn ihr ins Krankenhaus müßt?“ frage ich. Schließlich gibt es keine Hilfe umsonst.
„Wir leihen uns das Geld zusammen und versuchen es später zurückzuzahlen“, sagt jemand. „Von außen gibt es keine Unterstützung, von niemandem bekommen wir etwas.“
Die ersten dieser Steinbaracken wurden vor 30 Jahren gebaut, alle illegal. Das Land gehört der Regierung, die es den Akhdam mittlerweile überlassen hat. Hier heraus schafft es kaum einer. Hier werden sie geboren und hier sterben sie.