Montag, 5. Januar 2009

Rawdah





04. 01. 2009

Rawdah ist eine kleine Stadt, die nördlich von Sanaa Richtung Flughafen nahe der Grenze zu den Stammesgebieten liegt. Etwa 130000 Menschen sollen hier leben, sagt Mohammed, der perfekt englisch spricht und gerade Fleisch kauft.
Wieso sein Englisch so gut sei, frage ich?
„Weil ich Jemenit bin“, antwortet er und lacht.



Hinter ihm zerkleinern zwei Metzger im Schneidersitz die Fleischbrocken. Etwas weiter liegt ein Kuhkopf in der Sonne. Daneben befindet sich der Schlachthof, den die Kunden durch Öffnungen auf beiden Seiten betreten, um ihr Schaf oder ihre Ziege abzuliefern. Ein Mann schleppt frische Tierhäute hinter sich her, hinterläßt eine feuchte Spur im Staub, schmeißt die nassen Felle auf die Ladefläche seines Kleintransporters, als mein Handy klingelt. Meine Mutter will wissen, wie es mir geht?
„Großartig“, rufe ich.
Die Vorbeieilenden schauen mich neugierig an, einer bleibt in zwei Metern Entfernung stehen, legt den Kopf schief, beobachtet mich mit zusammen gezogenen Brauen, als sei ich eine unerklärbare Erscheinung. Erst als ich grüße, hellt sich sein Gesicht auf.
„Salam“, sagt er und geht lachend weiter.
Meine Mutter verstehe ich kaum. Nur daß zu Hause die Seen zugefroren sind und alle Schlittschuh laufen, bekomme ich mit.
„Ich hab’ Sonnenbrand“, schreie ich in den Hörer.
Die Stimmen um mich herum sind laut. Männer diskutieren, machen Witze. Autos tuckern vorbei, rasseln, als müsse der Motor jeden Moment den Geist aufgeben, dazu krachen Mopeds wie Preßluftbohrer, wirbeln Staub auf, der sich wie ein Vorhang zwischen mich und die Stadt schiebt. Ich lege auf.
Drei bis auf die Augen verschleierte Frauen sprechen mich an. Ob ich mich verirrt habe, wollen sie wissen? Ich verneine, zeige auf den Markt. Ihre Lider sind grünlich bemalt, die Augen mit Kayal umrandet. Sie schütteln ungläubig den Kopf, gehen weiter, drehen sich mehrmals um. An den Wänden links und rechts sitzen Bettlerinnen, sprechen vor sich hin, bitten Gott um Hilfe. Einige Marktbesucher stecken ihnen Münzen zu.



In Rawdah lebt Sheikh Abdul-Rahman al-Marwani, den ich zu treffen gehofft hatte. Aber er ist heute in Sanaa im Büro von „Dar al Salam“, jener Organisation, der er vorsteht. „Dar al Salam“, was Haus des Friedens bedeutet, versucht seit 1997 die jemenitischen Männer davon zu überzeugen, keine Waffen zu tragen oder sie zumindest zu Hause zu lassen, wenn sie in die Stadt, auf den Markt gehen. Zu viele Unfälle passieren, oft nicht einmal beabsichtigte Verletzungen, aber auch Streitereien eskalieren, nehmen ein böses Ende, wenn der Gegenüber plötzlich zur Kalaschnikov greift.
Am Eingang von Rawdah hat „Dar al Salam“ deshalb Schilder aufstellen lassen, auf denen Waffen mit einem roten, durchgestrichenen Kreis abgebildet sind. Es geht dabei weniger um die Dschambijas, die Krummdolche, die schon Kinder vor ihrem Bauch tragen, sondern um Handfeuerwaffen und Gewehre. In Sanaa sind sie bereits verboten, aber im Umland bei den Stämmen sind Waffen Alltag. Im Jemen ist es sehr leicht an Pistolen, Kalaschnikovs und Sprengstoff zu kommen. „Dar al Salam“ versucht nicht nur über Poster ein Bewußtsein für die Problematik zu schaffen. Die Organisation arbeitet sowohl mit der Regierung, als auch mit internationalen Diensten zusammen. In Moscheen weisen die Prediger während des Freitagsgebet auf die Gefahren hin, in Gesprächen wird versucht, die Stämme von der Sinnlosigkeit der Rachefeldzüge zu überzeugen. Selbst bei Hochzeiten soll auf das Abfeueren von Waffen verzichtet werden, da es immer wieder Opfer zu beklagen gibt. An den Grenzkontrollen außerhalb der Hauptstadt haben die dort stationierten Militärs ein Auge auf die Waren, die veräußert werden, denn auch der Handel mit Waffen ist hier Alltag.



Auf dem Markt in Rawdah sehe ich jedenfalls keine Waffen. Niemand hat ein Gewehr neben sich liegen, während er Apfelsinen, Hühner, Meerschweinchen, Töpfe und Teppiche anbietet. Die Händler sehen in mir eine willkommene Abwechslung, fordern mich auf, sie zu fotografieren, lachen sich schlapp, während sie sich die Bilder auf dem Display ansehen. Dann zücken sie ihre Handys und fotografieren mich.
Ein Bilder-Schießen sondergleichen.
Nur am Ende des Marktes, dort wo die Schafe auf den Ladeflächen der Wagen stehen, faßt mich ein etwa 50jähriger Mann von hinten am Arm, schreit mich an, was ich hier zu suchen habe? Ich reiße mich los, denke an Alis Worte, der mir in seinem Taxi einen Knüppel gezeigt und mir erklärt hatte: „Wenn du einen Unfall hast oder irgendetwas passiert, mußt du sofort nach einem Stock greifen und schreien. Dann bist du unschuldig. Wenn du das nicht tust, bist du schwach und der andere hat recht.“
Ich war mir in Alis Taxi nicht so sicher, daß dies eine gute Taktik sei, aber den Mann auf dem Markt in Rawdah bin ich nicht freundlich angegangen. Seine Augen waren voller Haß. Er schrie auf arabisch, ich antwortete deutsch, ließ ihn schließlich stehen. Die Schaulustigen um uns herum blieben stumm. Einige Schritte weiter zeigen sie mir mit Gesten, der Mann sei verrückt.
„Fanatisch“, sagt einer. Ob ich den Jemen noch liebe?
„Klar“, sage ich, „du bist doch auch der Jemen“.
Das sieht er auch so.
Ich kann „Dar al Salam“ nur gutes Gelingen wünschen.