Montag, 19. Januar 2009

Spatzen und Tabus




17. 01. 2009

Vor 8 Tagen war ich zu einer öffentlichen Hinrichtung eingeladen worden. Bereits eine Woche davor hätte der Verurteilte wegen sexuellen Mißbrauchs mit anschließendem Kindsmord von einem Hochhaus unweit des Bab al Jemen hinab gestürzt werden sollen, aber die Exekution, zu der 10.000 Schaulustige erschienen waren, hatte verschoben werden müssen. Und auch beim letzten Mal fand sie aufgrund des öffentlichen Drucks seitens mehrerer Menschenrechtsorganisationen nicht statt. Der Verurteilte, so munkelt man, wird nun hinter verschlossenen Türen erschossen.



Ich treffe Aiban, einen Menschenrechtsaktivisten, und will wissen, ob solche öffentlichen Hinrichtungen oft angesetzt werden. Aiban verneint. In den 90ern hätte man die Überführten zum Teil aus Hubschraubern gestoßen, aber normalerweise wird der zum Tode Verurteilte gehängt. Nur um die Schwere des Verbrechens zu unterstreichen, käme es zu solchen öffentlichen Hinrichtungen. Und diese Schwere, sagt Aiban, habe oft mit Homosexualität zu tun, die als Unzucht, als Schandtat gegen den Willen Allahs angesehen wird. Auch im besagten Fall war das Vergewaltigungsopfer ein Junge.




Aiban arbeitet für mehrere Menschenrechtsorganisationen. Unter anderem ist er an einem Projekt beteiligt, das Frauen, die aus dem Gefängnis entlassen werden, helfen soll, sich wieder in die Gesellschaft zu integrieren, was alles andere als leicht ist. Er erzählt die Geschichte von Fatima, einer Frisörstochter, die sich mit dem Sohn eines Sheiks eingelassen hatte und schwanger wurde. Sie kam wegen vorehelichen Verkehrs ins Gefängnis, wo sie ihr Kind zur Welt brachte. Dem Sohn des Sheiks passierte nichts.




Ob es einfach sei, im Jemen als Menschenrechtler zu arbeiten, frage ich?
Aiban wiegt den Kopf. „Sie greifen dich meistens nicht direkt an, aber Schwierigkeiten gibt es doch.“
Die Gefängnisse in Sanaa seien nicht vergleichbar mit denen in Europa, sagt er. Es handele sich um lange Korridore, in denen die Gefangenen, unabhängig ihrer Straftat zusammen sitzen. Mörder seien hier zu finden, genau wie politische Gefangene oder Kinder, die aus Hunger gestohlen haben. Wer keine Freunde hat oder Bekannte, die helfen, hat auch keine Matratze und kaum zu essen.
„Für die Kinder ist das alles am Schlimmsten“, sagt Aiban, „viele von ihnen landen als Scheidungsopfer auf der Straße, weil der Mann sie aus Rache der Frau wegnimmt, sich dann aber nicht um sie kümmert. Was sollen die Kleinen machen außer betteln und stehlen?“




Ich will wissen, ob es im Jemen Pressefreiheit gibt?
„Jedenfalls mehr als in Syrien oder Saudi Arabien“, sagt Aiban. „Aber es gibt Tabuthemen, Grenzen, die zu überschreiten, gefährlich werden kann. Politische Persönlichkeiten bilden so ein Tabuthema, aber auch die Regierungspolitik in Saada, wo aufständische Gruppen gegen den jemenitischen Staat kämpfen. Dem Journalisten Al-Khiwani hat das 6 Jahre Gefängnis eingebracht. Auch Fahad al-Qarni, ein populärer Sänger, der der Regierung Korruption vorwarf, wurde eingesperrt.
„Aber“, wende ich ein, „über Korruption in diesem Land redet doch bereits jedes Kind. Es ist das Thema, das die Bevölkerung Sanaas mir jeden Tag entgegenbringt, egal ob Händler, Taxifahrer oder Intellektueller. Jeder weiß es, jeder macht mit.“
Aiban zuckt mit den Achseln. „Es ist halt ein Unterschied, ob die Spatzen es von den Dächern pfeifen oder es in der Zeitung steht. Deshalb ärgert es mich, daß der Westen immer so tut, als sei der Jemen die Vorzeigedemokratie der arabischen Welt. Bis dahin ist es noch ein langer Weg.“
Aiban sieht etwas müde aus, stützt seinen Kopf, ehe er hinzufügt: „Eigentlich sind die meisten Politiker im Jemen liberal, haben studiert, waren oft im Ausland. Die Krux ist, sie sagen es dem Bruder nicht.“