Samstag, 17. Januar 2009

Nacht


16. 01. 2009
Sanaa, so heißt es, hat kein Nachtleben. Wenn gegen 21 Uhr die Geschäfte auf dem Suq ihre Türen schließen, wird es still in der Stadt. Nur in den aufgebauten Hochzeitszelten amüsieren sich am Wochenende die Männer bis in die Morgenstunden, während die Frauen im Haus die Vermählung feiern. Jemens Hauptstadt hat keine Kneipen, kein Kino, kein Theater, aber es gibt hier den Russenclub, eine Art Vereinsheim auf einem Wohnkomplex für Ausländer gelegen und bis 23 Uhr geschlossen.
In der Einfahrt halten jemenitische Soldaten uns an, öffnen die Wagentür, fragen, ob wir keine Kalaschnikows dabei haben. Wir verneinen.
„Wenn ihr mal Waffen mitbringt, bitte, keine aus China“, sagt einer der Soldaten im offenen Mantel und mit schiefer Mütze auf dem Kopf, „die taugen nichts“. Gelächter.



Nachdem wir Eintritt bezahlt haben, betreten wir einen spärlich beleuchteten Raum, so groß wie eine halbe Turnhalle. Das Interieur erinnert an eine Dorfdisco in Deutschland. Der Boden ist mit schwarz-weiß gemusterten Fliesen belegt, darauf stehen Tische aus Holzimitat. An den Wänden verbreiten geschwungene Vorhänge einen Teil Orient, erinnern in letzter Instanz aber an einen Ausstellungsraum von Karstadt. Der Unterschied zum Tanz auf dem Lande besteht darin, daß sich hier nachts bis zu 15 Nationen treffen. Der Wirt selbst stammt aus Lettland, hat aber in der Sowjetarmee gedient, weshalb jeder ihn für einen Russen hält. Und er selbst tut nichts dafür, das Mißverständnis aufzuklären.
„Ich bin Raucher, Trinker und Besetzer“, stellt er sich vor, ehe er mich vom Seitenstück der Bar wegscheucht. Dieser Teil sei für Service. Wenn ich am Tresen rumhängen möchte, dann da vorn. Sein Gesicht hat die Freundlichkeit einer ausgepressten Zitrone, während er das Dosenbier in die Humpen kippt. In seinem Rücken laufen ununterbrochen internationale Models über den Fernsehlaufsteg. Seit 10 Jahren hat er den Laden nun und er sei das Beste, was ihm passieren konnte, schlicht das, was er sich unter einem guten Leben vorstellt. Nicht einmal bei diesem letzten Satz huscht ein Lächeln über sein Gesicht. Vielmehr blafft er eine Äthiopierin im kurzen, roten Minirock an, sie soll gefälligst warten, bis er mit mir zu Ende sei, als sie zu bestellen wagt.




Über den Laptop steuert der Mann aus Riga einen wilden Musikmix aus Discoklängen der 80er. Das meiste habe ich noch nie gehört, nur Modern Talking erkenne ich und Tom Jones. Philippinsche Teenager vollführen im Synchronrhythmus einstudierte Bewegungen vor einem riesigen Spiegel, der auf einer Seite die Tanzfläche begrenzt. Um die Lichterkettensäule in der Mitte drehen Japaner ihre Runde. Ein türkischer Geschäftsmann im Anzug und mit Krawatte geleitet seine somalische Begleitung zu einem der Tische. An einem anderen sitzt eine Fraktion deutscher Entwicklungshelfer. Franzosen und Engländer stehen neben der Eingangstür. Usbeken trinken an der Theke. Frank, ein Mittdreißiger, der aus Texas stammt, früher bei der Navy war und jetzt Sicherheitschef einer Ölfirma ist, zeigt mir Bilder seiner Ex-Freundin auf dem Handy.
„Sie war Playmate“, erklärt er, „und ich letztes Jahr auf der großen Party bei Hugh Heffner eingeladen. Oh Mann!“ Seine leuchtenden Augen suggerieren, was ich mir unter dem Ausruf vorzustellen habe. Die Musik findet er schlecht hier im Russenclub. Er steht mehr auf den Countrysound der 90er.
Ob er glaubt, daß sich mit Obamas Amtszeit viel in der Politik der USA ändern wird, will ich wissen? Er schüttelt den Kopf. Obama sei auch nur ein Mensch, der den Zwängen der Industrie ausgesetzt sei. Außerdem habe er, Frank, für McCain gestimmt, sogar Wahlkampf betrieben. Bush habe Fehler gemacht, sei aber ein ganzer Kerl, der immer geradlinig gewesen sei. Ich antworte, daß man bis heute die Ackerfurchen seiner Gradlinigkeit in der ganzen Welt bestaunen darf. Frank zuckt mit den Achseln. „Ich sag doch, er hat auch Fehler gemacht“, erwidert er, bestellt noch ein Bier für mich. Daß ich schreibe, findet er „cool“, interessiert sich nach fortgeschrittener Humpenzahl, dann doch etwas mehr für das weibliche Publikum als für meine Romane, was sich gut trifft, denn irgendwie zuckt mein rechtes Tanzbein, so unverzeihlich die Musik, mit der der Lette sein Publikum bestraft, auch ist.





Gegen 4 Uhr leert sich der Russenclub langsam. Das letzte Mal habe ich Karneval so viel getanzt. Die Haddastraße, tagsüber die größte Verkaufsstraße der Stadt, liegt wie ein Schatten ihrer Selbst im Mondlicht. Auf dem Bürgersteig haben sich zwei Männer mit Kartons zugedeckt. In einer halben Stunde wird der Muezzin sie zum Gebet wecken.