Dienstag, 20. Januar 2009

Zu Gast




18. 01. 2009

Sanaa ist bespickt mit Moscheen. Manche sind groß und auffällig, andere bescheiden und leicht zu übersehen. Aber jedes noch so kleine Viertel hat sein Gebetshaus und pünktlich zu den verlangten Zeiten - 5 Mal am Tag - rufen die Muezzine über Lautsprecheranlage die Gläubigen. Dann hängt ein Singsang über den Dächern, ein feines Netz aus Stimmen, als halte Allah einen schützenden Versmantel über die Stadt und seine Bewohner.






Vor seinem Haus, in dem die Arbeiter gerade den ersten Stock instand setzen, treffe ich den Imam der Moschee mit der grünen Kuppel, einen feingliedrigen Mann, der auf den ersten Blick sofort sympathisch wirkt. Eine stattliche Bibliothek bedeckt eine Wand seiner Mafradsch, Bücher zu religiösen Themen, aber auch Poeten, Literaten. Wir lassen uns nieder, warten einen Moment auf den Übersetzer, der seinen Gebetsteppich neben uns ausgerollt hat und nachholt, wozu er vorhin nicht die Möglichkeit hatte.



Es gibt Imame, die werden einer Gemeinde vorgesetzt. Andere wiederum werden von den Gläubigen gebeten, dieses Amt zu übernehmen. Viele haben einen normalen Beruf nebenher, denn der Verdienst ist nicht so, daß man davon eine Familie ernähren könnte. Und so unterschiedlich die Männer sind, die diese Funktion übernehmen, so unterschiedlich sind auch die Predigten, die sie am Freitag in den Moscheen halten.
„Ich spreche viel über alltägliche Dinge“, sagt der Imam, „über Hygiene zum Beispiel, über die Notwendigkeit sauberes Wasser zu haben, darüber, daß man seine Frau gut behandeln soll.“
Seine Predigt dauert durchschnittlich eine halbe Stunde und ist immer in zwei Blöcke geteilt. „Die Unterbrechung hilft den Leuten sich erneut zu konzentrieren“, sagt er, „würde ich zu lange reden, würde niemand mehr zuhören“.
Ob der Gaza-Krieg ein Thema in seinen Predigten gewesen sei? frage ich. Er bejaht. Jeder Imam habe in diesen Wochen über die Situation der Palästinenser gesprochen. Gemeinsam sei allen Reden gewesen, daß der israelische Angriff verurteilt wurde.



Der Imam der Moschee mit der grünen Kuppel spricht größtenteils frei, schreibt sich ab und zu Stichwörter auf, aber einmal im Redefluß schwimmend seien diese kaum nötig. Wichtig sei nur, so zu sprechen, daß die Ungebildeten folgen und die Gebildeten auch etwas mitnehmen könnten. In seinen Augen blitzt ein Lächeln auf.
Wie findet er jede Woche immer wieder neue Themen?
„Es gibt den Koran“, antwortet er, „dann Predigten alter Imame, die einen inspirieren können und das Internet nicht zu vergessen“. Aber auch der Alltag macht manche Themen notwendig. Männer kommen zu ihm, weil die Frau ihnen weggelaufen ist und wieder bei den Eltern wohnt. Familienmitglieder leben in Armut, während andere sich zwei Autos leisten können. In diesen Fällen hilft er, sucht den Dialog und ist meist erfolgreich. Auch über Terrorismus hat er schon geredet und hat eine klare Position: „Der gläubige Muslim verabscheut das Töten. Es ist wider Allahs Willen. Die Menschen sollen einander helfen und respektieren. Die Attentate haben den Muslimen extrem geschadet.“
„In Deutschland“, sage ich, „gebe es leider viele Menschen, die seine Religion nun mit Fanatismus gleichsetzten, und die Medien berichteten über den Jemen nur dann, wenn jemand entführt würde“.
Der Imam schüttelt ungläubig den Kopf. Der Zusammenprall der Kulturen sei ein Aufeinandertreffen von Ignoranz. Würden die Menschen mehr vom anderen wissen, anstatt sich zu fürchten, gäbe es weniger Probleme. Dann will er wissen, was er und seine Landsleute gegen dieses Bild seiner Heimat im Westen machen könnten.
„Leider nichts“, antworte ich.



Ich bin in diesem Land so gut und offen empfangen worden, wie das umgekehrt niemals der Fall sein würde. Kein Luxemburger, kein Deutscher würde einen Ausländer auf der Straße ansprechen und ihn fünf Minuten später zu einem Tee oder zum Essen in sein Haus einladen. Aber davon spricht niemand in den Nachrichten. Auch käme niemand auf die Idee vor Urlaub in Spanien, Frankreich oder Deutschland zu warnen, wenn in einem dieser Länder Menschen entführt werden.



Dann bittet der Imam zu „Tisch“. Es gibt Fleisch, Gemüse und Nudeln. Am Fenster bildet das Licht einen grellen Vorhang, während wir uns am Boden hockend über die Schüsseln beugen.
Ob ich trotz des Essens unser Gespräch fortsetzen darf, frage ich?„Wir müssen uns in den Gast hinein versetzten“, antwortet der Imam, „der Gast nicht in uns. Frage!“