Sonntag, 4. Januar 2009

Malerei


03. 01. 2009

Die rechte Seite des Platzes hinter dem Bab al Yemen hat die Polizei abgeriegelt. Uniformierte mit Stöcken schreiten auf und ab, hindern die Einheimischen daran, den Staffeleien, auf denen weiße Leinwände stehen, zu nahe zu kommen. Immer wieder versuchen Passanten einen Blick auf die noch nicht begonnenen Bilder zu erhaschen, springen die zwei Stufen hoch, werden zurück beordert. Selbst hinten an der den Platz abgrenzenden Hauswand hat keiner sich aufzuhalten. Ich hingegen brauche gar nicht zu versuchen, mich hinter die Staffeleien zu schleichen, denn ein Polizist bittet mich hoch und sagt: „Sehen Sie sich das ruhig an.“ Leider gibt es noch nichts zu sehen und ich überlege, ob ich nun hier warten oder einfach eine Stunde herumlaufen und dann wiederkommen soll?



In diesem Moment strömt aus der langen Verkaufsstraße, vorbei an der Al-Radwan-Moschee, eine Menschenmasse auf den Platz zu, die mich sofort an eine Demonstration denken läßt. Ein golden angemalter Wagen fährt voraus, Blumen und Gräser auf der Motorhaube, die Seitenflächen voll geklebt mit Fotos, Plakaten. Nur die folgenden Männer - es sind ausschließlich Männer - skandieren keine Parolen, vielmehr bleiben sie stumm, scheinen dabei in Eile zu sein, laufen nicht, aber ihr Schritt ist von zielgerichteter Schnelligkeit. Und dann sehe ich, daß einige eine Bahre, vielmehr ein Holzbett, über ihren Köpfen halten, und darauf liegt ein Toter, zugedeckt mit einem Tuch. Die tragenden Männer wechseln sich ab, während sie weiterhasten, übergeben das Bett an die nächsten. Um sie herum fließt die Masse aus dem Tor hinaus. Aber der Strom hört nicht auf. Das zweite Bett schaukelt heran, dann das dritte. Es sind Hunderte von Menschen, die den Verstorbenen die letzte Ehre erweisen. Ihre Gesichter zeigen keine Regung, nur die Hast ist Ausdruck dessen, was vorgefallen ist. Aus dem Lautsprecher des Wagens kommen Ansagen, die ich nicht verstehe. Auf der Taiz-Straße stockt der Verkehr. Neugierig schauen die Händler dem Menschenauflauf hinterher, Passanten bleiben stehen. Dann biegt der Zug in eine andere Straße, teilt sich plötzlich. Nur das erste Bett ruckelt geradeaus, die beiden anderen biegen ab. Über eine mehrspurige Fahrbahn geht es an Obstläden und einem Viehmarkt vorbei zum Friedhof. Ich bleibe am Eingang stehen. Der Verstorbene wird weggetragen, weit hinten in die Erde abgelassen. Der Fahrer des Wagens bittet mich auf den Friedhof, ich solle mir das Gefährt näher ansehen. Ein Anwesender erklärt mir, der Verstorbene sei ein reicher Mann gewesen, ein Scheich, und zeigt mir das Foto auf dem Wagen, das sowohl an den Seiten klebt, als auch gerahmt über der Frontscheibe hängt. Daneben gibt es alte, verblichene Bilder von Verstorbenen, von Szenen, auf denen der Präsident zu sehen ist. Der Wagen werde auch zu politischen Zwecken benutzt, erfahre ich und man weist mich auf die Aufnahmen aus dem Gaza-Streifen hin, die neben der Seitenscheibe angebracht sind, zerstückelte Körper, Verletzte, Tote. Linkerhand auf einer überdachten Erhöhung stellen sich die Verwandten auf, bilden eine lange Schlange, die von der noch längeren der Kondolierenden übertroffen wird. Hände werden geschüttelt, Beileid ausgesprochen. Unglaublich viele Menschen müssen diesen Scheich gekannt haben. Nach und nach drängen die Leute wieder hinaus, verlassen den Friedhof und auch ich kehre zurück zum Bab al Yemen, wo in den letzten eineinhalb Stunden die Maler und Malerinnen des House of Art Bilder auf die Leinwand gebracht haben, die alle mit der Gaza-Problematik zu tun haben. Ich sehe die Friedenstaube am Spieß, gedreht von einer Hand, auf der ein Stern prangt. Ein anderes Bild zeigt ein palästinensisches Kopftuch hinter einer Mauer.



Susan, eine der Malerinnen, will wissen, was ich von dieser Aktion halte. „Die Künstler wollen damit auf eine Tragödie aufmerksam machen, anders berichten, als die Medien in Europa das tun“, sagt sie.
Während ich mit ihr rede, fotografiert die jemenitische Presse uns. Wieso sie Susan heiße, will ich wissen? Sie sei während der britischen Besatzung geboren worden, antwortet sie. Was denn Susan auf Englisch bedeute?
Ich zucke mit den Achseln. „Nichts“, sage ich.
„Ich will aber nicht „Nichts“ bedeuten“, lacht sie.
Eine ihrer Kolleginnen ist Palästinenserin, sagt, diese Aktion bedeute ihr viel, zeigt auf ihr Herz. Ich sehe Kameras, die alles filmen.
Im Hintergrund sagt jemand: „Die Palästinenser sind wie Brüder für uns. Es ist als ob man uns töte.“
Zwei englische Touristen tauchen auf, werden ebenfalls auf den abgesperrten Teilplatz gebeten. Susan beginnt sofort mit ihnen zu diskutieren. Ich verabschiede mich.
Auf eine bessere Zukunft.