Freitag, 9. Januar 2009

Geschichten



05. 01. 2009

Die Schmuckläden, vor denen die Brötchenverkäufer und Schuster sitzen, hinter mir lassend, steige ich die Treppe hinab in die Unterführung, die zum Tahrir-Platz führt. Auch hier unten gibt es Läden so wie fliegende Händler, die auf den Stufen sitzen und Parfümflakons anbieten. Wer ebenfalls täglich dort zuammengekauert und völlig verhüllt hockt, ist eine Frau mit ihren zwei Töchtern, die auf einem Stück Pappe vor ihr liegen und meistens schlafen oder zumindest die Augen geschlossen haben. In ihrem Schoß liegen ein paar Münzen. Sie bewegt sich nicht, spricht niemanden an, hat das Kinn auf die Brust gesenkt, als sei auch sie eingenickt. Es ist ein Mitleid erregender Anblick.
„Genau das ist es, was sie wollen“, schimpft Achmed, den ich auf die Frau aufmerksam mache. „Dahinter stecken Verbrecher. Du weißt doch gar nicht, ob es immer die gleiche Frau ist, die da sitzt. Du siehst ja nichts von ihr. Sie benutzen die Kinder nur, anstatt sie zur Schule zu schicken.“
„Aber vielleicht ist sie wirklich arm“, antworte ich.
„Man bettelt nicht mit seinen Kindern!“ erwidert Achmed und duldet keinen Widerspruch. Es gebe hier viele Arme im Land, die entweder gar keinen Job hätten oder so wenig verdienten, daß sie einen zweiten und dritten annehmen müßten. Auch er müsse seine 5 Kinder füttern, trotzdem gebe es Grenzen.
Vor der neu eingerichteten Saftbar, die farbenfroh am Straßenrand hervorsticht, zeigt Achmed in die Qassr-Straße, wo ein Ableger des Schriftstellerverbandes zu finden ist. Dort soll ich mich mit einigen jemenitischen Autoren treffen.
„Ich habe dir geholfen“, sagt Achmed zum Abschied, „nun hilf du mir auch“ und hält die Hand auf.



Direkt hinter der Eingangstür des Gebäudes sitzt ein alter Mann auf dem Boden, vor ihm eine kleine Mühle voll von klein gemahlenen Blättern. Er hat keine Zähne mehr zum Qat-Kauen, deshalb schiebt er sich die Fitzelchen mit einem Löffel in den Mund, stopft sie sich in die Wange.
Im dritten Stock betrete ich einen Raum mit kahlen Wänden, in dem grauer Teppichboden liegt und zwei Schreibtische stehen. Von der Decke hängt eine Glühbirne ohne Schirm. Nach und nach treffen die Autoren ein, alles Mitglieder der Geschichtenvereinigung (Almaqa), die sich um die mündliche Überlieferung jemenitischer Erzählungen kümmert. Vorsitzender ist Dr. Mohamed Algharbi Amran, Vize-Bürgermeister der Stadt Sanaa, ein sympathisch wirkender Mann in Sandalen und gestreiftem Hemd mit weißem T-Shirt darunter. Guido Zebisch, Leiter des Deutschen Hauses, stellt uns vor und übersetzt für uns, da ich kein und die Autoren ausschließlich Arabisch sprechen.
Was mich im Jemen denn interessiere, will Said al Faqih, ein hagerer Mann mit Krummdolch im Gürtel, wissen? Ich erkläre, daß mich alles interessiert, daß ich aber vor allem den Alltag der Menschen kennenlernen möchte. Vieles über Sehenswürdigkeiten und Geschichte kann ich auch in Deutschland in Büchern lesen, aber was der Mann auf dem Markt denkt oder die Studentin an der Universität nicht. Deshalb würde ich eine Hochzeit oder ein Begräbnis dem Museum immer vorziehen.
„Kein Problem“, antwortet Mohamed Amran. „Wir werden morgen jemanden für dich töten. Und einen, der dann heiraten muß, finden wir auch noch.“



Im Jemen gibt es kein Verlagswesen.
„Die Autoren“, sagt Bassam Shams Adin, „veröffentlichen ihre Bücher im Selbstverlag, Auflage etwa 200. Vertreiben müssen sie sie ebenfalls selbst.“
„Zur Zeit ist der Druck von Büchern sowieso schwer“, fügt Mohamed Amran hinzu, „da die Druckpresse, die die Autoren bislang benutzten, außer Betrieb ist.“
„Kann man die Bücher denn in den Buchläden Sanaas kaufen?“ frage ich.
„Ja“, antwortet Saleh Albydani, der mit dicker Jacke und Wollmütze zu meiner linken sitzt, „aber das macht die Bücher teurer, weil der Buchhändler auch etwas verdienen will. Und das ist problematisch. Ein Buch kostet zwischen 600 und 1000 jemenitische Rial, also von 2.20 Euro bis 3.70. Wenn es noch teurer wird, will es keiner mehr.“
„Hinzu kommt, daß das Leseverhalten sich stark geändert hat“, wirft Bassam ein. „Immer mehr Menschen lesen Erbauungsliteratur, also neben dem Koran Schriften religiösen Inhalts. Deshalb macht es eigentlich keinen Sinn, wenn die Autoren ihre Bücher in die Läden bringen.“
Saleh veröffentlicht seine Texte seit einiger Zeit im Internet. Da könne dann jeder darauf zugreifen, der wolle.
Trotz der schwierigen Situation gibt es viele Autoren und Autorinnen im Jemen. Said überreicht uns ein Verzeichnis der Schreibenden, in dem ihre Kontaktadressen zu finden sind.
Leben kann vom Schreiben hier niemand. Alle üben einen Beruf aus, aber ohne die Literatur fehle ihnen ein Teil ihrer Identität. Saleh beispielsweise arbeitet als Journalist und Bassam ist Soldat.
„In Deutschland kann man mit seinen Büchern ganz leicht Geld verdienen“, sagt Bassam, „aber hier ist das anders“.
Da muß ich leider widersprechen.




Draußen dunkelt es bereits. Mohamed Amran führt uns in einen Zeitungsvertrieb, einen Raum, in dem Bündel und Packen von Zeitschriften liegen.
„Wieviele Bücher bringt ihr an die Kioske?“ fragt er den jungen Mann hinterm Schreibtisch.
„Keines“, lautet die Antwort.
Mohamed Amran zeigt auf einige Comics, dann auf Illustrierte mit Schminktips, sagt: „Das verkauft sich. Das wird auch ausgeliefert.“
Ein Satz, der in jedem Land Gültigkeit hat.

In der kleinen Gasse hinter dem Postamt setzten wir uns auf die Holzbänke, bestellen Fuhl, einen Brei aus dicken braunen Bohnen Zu beiden Seiten brutzelt es in den Töpfen. Gerüche hängen wie dünne Fäden zwischen den Küchen, umwickeln uns, reißen, werden neu geknotet. In einem dieser Restaurants entdecken wir Michael Roes, den Autor von „Rub al-Khali“, der seine Schafsleber verzehrt. Er ist hier, weil er für ein neues Buchprojekt recherchiert, wird aber auch an der Konferenz in 14 Tagen teilnehmen, eine Begegnung zwischen deutschsprachigen und jemenitischen Autoren.




Als ich gegen 20.30 Uhr erneut in die Unterführung hinab steige, hat die Frau auf den Stufen drei Mädchen vor sich liegen. Die „Neue“ hat die Augen groß geöffnet und starrt an die Decke. Dort windet sich das spärliche Licht um die ungleichmäßig aufgetragene Farbe, wirft Schatten, die wie abgemagerte Geister aussehen, dunkle Märchen für die Nacht.