Samstag, 10. Januar 2009

Filmreif



08. 01. 2009

Aden besteht aus mehreren Vierteln, die durch breite Straßen weitläufig miteinander verbunden sind. Eines davon heißt „Crater“ und liegt, wie der Name vermuten läßt, inmitten eines zum Meer hin offenen Vulkankraters. Neben dem Rimbaud-Hotel, das an den Dichterkollegen des „Trunkenen Schiffes“ erinnert, der 1880 in Aden Station machte und auf den kargen Fels ohne Grashalm schimpfte, befindet sich hier auch der alte Hafen, in dessen Fischmarkthalle, die Verkäufer die eben eingetroffene Ware lautstark anpreisen. An diesem Morgen liegt der Boden voller toter Haie. Es sind 26 große Tiere und um die 80 kleine.


„Zu viele“, sagt einer der Verkäufer, „die werden wir nie los“.
Aber die ersten Käufer sind bereits vor Ort. Ein Mann schlendert mit seiner Frau und seiner kleinen Tochter zwischen den Haien herum, setzt den Zeigefinger auf die Haut, prüft, stapft weiter durch das Blut, das jemand anders mit einem Schlauch wegzuwaschen versucht. Auf der anderen Straßenseite liegt eine Art Phantasialand im Entwicklungsstadium: kleine Karusselle, Rutschbahnen.



Die Kinoplakate in Aden, die leicht bekleidete Frauen zeigen, sind in Sanaa kaum denkbar. Auch Autowracks, wie sie am Straßenrand stehen, habe ich in der Hauptstadt nicht gesehen. Niemand scheint sich daran zu stören. Die Männer liegen in Bretterbuden, die sich an den Fels lehnen und rauchen Wasserpfeife, andere haben es weniger gut, sitzen in der sengenden Sonne und klopfen den ganzen Tag Steine klein, die für den Häuserbau benutzt werden. Hinter einem Wellblechzaun, stoße ich auf Slums, brusthohe Hütten mit Plastikplanen und Stoffetzen überzogen. Alles wirkt langsam, als lähme das Licht die Glieder, schränke die Bewegungsfreiheit ein.



In „Ma’alla“, einem Viertel, das nur aus zwei großen Hauptstraßen und wenigen Quergassen besteht, ist es dann vorbei mit der Ruhe. Ein Mann mit Dreitagebart und einem langen Tuch, das er um die Hüften trägt und das ähnlich gemustert wie seine Kopfbedeckung ist, spricht mich auf arabisch in einer Art und Weise an, daß ich in ihm einen aufdringlichen Verkäufer wittere. Ich sage, daß ich nichts kaufen will, schlendere die Straße hoch, mache weiter Fotos. Hinter dem Heiligengrab von Scheich Ahmad asch Scheddali, das in die Straße integriert wurde und mit Gittern und Wellblechdach geschützt ist, spricht der Verkäufer mich erneut an. Sein Blick ist unfreundlich fordernd und er macht mich nervös. Ich wechsele die Straßenseite, merke, daß der Händler mit einem weiteren Mann Kontakt aufnimmt. Nun verfolgen sie mich zu zweit. Ich gehe schneller. Sie kommen näher. Ich überquere die Fahrbahn. Sie teilen sich auf. Das Ganze scheint gefährlich zu werden. Ich bin bereits in vielen Ländern von Händlern über weite Strecken „begleitet“ worden, aber das Benehmen dieser Männer deutet auf nichts Gutes hin. Ich denke an die Entführung vor einigen Wochen. Meine Augen suchen nach Gassen, in die ich springen könnte. Tatsächlich bietet sich eine kleine Verkaufsstraße an. Dort sind Menschen, da werden meine Verfolger nichts wagen. Aber sie lassen nicht ab. Also drehe ich mich um, gehe auf sie zu, drohe dem einen mit der Polizei, wenn sie mich nicht in Ruhe lassen. Dann bin ich wieder auf der Flucht. Unbeeindruckt folgen sie mir. Ein dritter tritt mir plötzlich entgegen, sagt, er sei die Polizei. Er trägt einen kleinen Schnurrbart und hat ebenfalls ein Tuch um die Hüften geschwungen. An den Füßen kleben Sandalen. Ich glaube ihm kein Wort, zwänge mich vorbei, gehe schneller und schneller.



Das Sonnenlicht läuft die Fassaden hinab, wie der Schweiß meinen Rücken. Zu dritt setzen sie mir nach, einer geht auf dem rechten, ein anderer auf dem linken Bürgersteig und der dritte folgt mir auf dem Mittelstreifen. Gute 10 Minuten sind vergangen, seit ich denke, ich bin im falschen Film. Der mit dem Turban schreit von hinten. Sein Gesicht ist verzerrt vor Zorn. Ich muß weg. Ich muß weg hier, denke ich. Da kommt ein leeres Taxi angefahren. Ich stoppe den Wagen, springe hinein, knalle die Tür zu. Mein Verfolger ist noch 5 Meter von mir entfernt. Ich sehe durch die Rückscheibe, wie er auf das Taxi zu läuft.
„Fahren!“ brülle ich. „Fahren!“
Der Taxifahrer gibt Gas. Mein Verfolger schreit. Die beiden anderen laufen von der Seite auf den Wagen zu, schreien ebenfalls. Der Taxifahrer bremst ab. Das Auto steht.
„Was ist los?“ rufe ich entsetzt.
„Geheimpolizei“, antwortet der Taxifahrer, „ich kann nicht fahren.“
„Was?“, rufe ich.
Der Taxifahrer nickt, versucht zu lächeln. Meine Verfolger umstellen den Wagen. Ich steige völlig entgeistert aus, bin geladen, rufe: „Geheimpolizei? Warum sagen Sie das nicht gleich?“
Einer der Beamten in Zivil zückt einen rosa Ausweis.
„Ich kann kein Arabisch lesen“, sage ich aufgebracht.
„Es ist alles in Ordnung“, versucht der Taxifahrer mich zu beruhigen.
Ein weiterer Beamter, der Englisch spricht und ein braunes Hemd trägt, stößt zu uns.
„Nichts ist in Ordnung“, sage ich, „die haben mich wie die Irren verfolgt. Ich dachte, die entführen mich.“
Der Beamte im braunen Hemd übersetzt. Die anderen machen leicht erstaunte Gesichter.
Ich hätte alles fotografiert, bemerkt einer meiner Verfolger. Er will wissen warum?
„Damit ich mich später erinnere“, antworte ich, „was glauben Sie, weshalb Touristen Fotos machen“.
„Es ist alles in Ordnung“, wiederholt der Taxifahrer, aber sein Mantra erreicht mich nicht.
„Ihr seht doch aus wie Verbrecher“, sage ich zu dem, der mich als erster angesprochen hatte. Der im braunen Hemd übersetzt. Die Männer lachen.
„Ja“, sagt der eine, tätschelt dem Kollegen den Dreitagebart, „da haben Sie allerdings recht. Der da sieht aus wie ein Krimineller“. Erneutes Gelächter. Allmählich löst sich die Spannung in meinem Körper. Meinen Paß wollen sie haben, um eine Kopie anzufertigen. Ich runzele die Stirn.
„Es ist alles in Ordnung“, nickt der Taxifahrer.
„Sorry“, murmelt der Dreitagebart, „aber wer alles so akribisch fotografiert…“



Schließlich laden sie mich zum Tee ein. Wir betreten ein Hotel, gehen in den Keller.
„Geheimpolizei“, bekräftigt der Mann im braunen Hemd noch einmal, „Staatssicherheit“.
„Benehmen sich wie Verbrecher“ wiederhole ich. Erneutes Gelächter.
Unten sind die Tische und Stühle des Hotelrestaurants mit Planen überdeckt. Wir sitzen in einem kleinen Raum nebeneinander. Der Tee schmeckt gut.
Ich bekomme meinen Paß zurück.
„Schönen Urlaub noch“, verabschieden die Beamten mich schließlich, geben mir die Hand. Einer von ihnen will mir die Sehenswürdigkeiten von Aden zeigen.
Ich lehne dankend ab.
Draußen wandere ich die Straße entlang, mache Fotos. Obwohl es mich reizt, habe ich mich im Griff und drehe mich kein einziges Mal mehr um.