Sonntag, 4. Januar 2009

Markt





01. 01. 2009

Sanaa ist ein Gedicht, in dem die Verse geschwungen sind wie Krummdolche und der Wind so trocken, daß mir die Nase blutet. Während das Licht sich von oben in die schmalen Gassen zwängt, grell von den Hausfassaden auf der einen Seite in die Gesichter der Vorbeieilenden springt, wickelt gegenüber ein dunkler Schatten die Häuser ein, als beginne am Morgen bereits wieder die Nacht.



Vom Bab al Yemen, dem südlichen Tor in die Altstadt, schlendere ich über den dahinter liegenden Platz, auf dem die Händler Plastiktaschen, Brot, Sakkos und Bilder anbieten. Niemand bedrängt mich, niemand fordert mich auf zu kaufen. Auch auf dem Suq al Milh, der durch eine Verkaufsstraße voll fliegender Händler mit dem Platz verbunden ist und ein kleines, garagenartiges Geschäft an das folgende pappt, werde ich nicht im geringsten zum Ziel einer Verkaufsgier, wie ich sie aus anderen Ländern kenne. Das macht die geschäftige Atmosphäre überaus angenehm und sympathisch. Der Markt wirkt originär. Die Menschen aus der Stadt besorgen sich hier, was sie benötigen, von der Dichtung bis zum Hochzeitskleid. Geschäfte, die eigens für Touristen aufgemacht hätten, gibt es nicht. Rosinensäcke, Stoffe und Gemüse werden mit Schubkarren durch die verwinkelten Gassen transportiert. Motorräder hupen, rasen zwischen die Menschenmenge, bremsen, setzen ihre Fahrt fort. Ab und zu versucht ein Wagen sich zwischen den Ständen hindurchzuquetschen.



Aus einzelnen der einstöckigen Läden höre ich: „Welcome to Yemen“, andere wollen wissen, woher ich komme? Ich versuche es ein-, zweimal mit „Luxemburg“, was zur Folge hat, daß die Frage wiederholt wird. Also sage ich Deutschland, was nicht falsch ist, immerhin lebe ich seit 1983 dort. Almania finden die Händler in Ordnung. „Tamam“, sagen sie und heben den Daumen.
„Gut, daß du kein Amerikaner bist“, lacht einer und zieht seinen Krummdolch. Neben der Dolchscheide steckt das Handy im Gürtel.

Der Markt ist klar strukturiert. Die Stoffhändler besetzen einen Teil, die Krummdolchverkäufer einen anderen, daneben gibt es Wasserpfeifen, eine Gasse ist für die Gewürzhändler und eine für die Schmiede. Irgendwo kann man Türen und Fensterrahmen kaufen und anderswo Fleisch, Fisch und Gemüse. Dazwischen erheben sich die Minarette diverser Moscheen. Wasserhäuschen gibt es, die vom waqf, der religiösen Stiftung, unterhalten werden und Flächen aus Stoff, auf denen für Kaschmirschals und Babynahrung geworben wird. Und es gibt die Qat-Verkäufer. Sie haben die Blätter in Tüten vor sich liegen und der Zulauf ist enorm. Die Pflanze enthält einen Wirkstoff, der anregend wirkt. Die Müdigkeit verschwindet, man fühlt sich leicht euphorisiert. Das fördert den Rededrang, und so sitzen die Männer alltäglich zusammen, kauen die jungen Blätter, stopfen sie sich in die Wange, bis sie ausgewölbt ist, als läge ein Tennisball darin, und lassen die Zeit verstreichen. Viele kauen auch allein in ihren Geschäften, arbeiten weiter.



Qat ist die Alltagsdroge dieses Landes. Die Jemeniten selbst sehen den Strauch nicht als Droge an, sondern als Genußmittel.
„Wie Kaffee“, sagt einer und hebt die Hände, als wolle er hinzufügen, was gibt es da zu meckern.
„Eher wie Whisky“, antwortet der Mann daneben und lacht.
In Deutschland ist die Einfuhr verboten und verstößt gegen das Drogengesetz. Nicht nur die jemenitischen Männer kauen es, auch Frauen treffen sich zum Qat-Kauen, aber ihr Prozentsatz ist im Vergleich geringer. In der Qat-Runde werden Probleme diskutiert und gelöst, in der Qat-Runde verläuft der Nachmittag so schön, wie das Leben immer sein sollte.
Aber es gibt Stimmen, die darauf hinweisen, daß Qat auch ein Problem für den Jemen ist. Nicht nur, daß mehr und mehr Bodenflächen für ein Genußmittel benutzt und andere lebensnotwendige Dinge nicht angepflanzt werden, weil sie nicht genug Profit abwerfen, auch ein großer Teil des ohnehin geringen Monatslohns geht für das Kauen drauf. Mohammed, der mich mit den Worten anspricht: „Ich heiße Mohammed, wie alle in diesem Land“, erzählt von Familien, die unter dem Blätterkonsum leiden. Die Kinder bekämen kein Fleisch und kein Obst, weil das Geld für Qat ausgegeben würde.
„Sie kauen wie die Tiere“, sagt er, „oft bleibt die Arbeit liegen und schon am Morgen denken sie nur daran, wo sie die frischesten Blätter herbekommen. Ihr ganzes Denken ist davon bestimmt.“
Natürlich probiere auch ich einige Blätter, von denen Mohammed sagt, sie würden des Wachstums wegen so viel besprüht, daß man immer auch eine geballte Ladung Chemie zu sich nehme. Aber ich bin in diesem Land, um Dinge auszuprobieren, um zumindest zu erahnen, aus was alles sich die jemenitische Kultur zusammensetzt. Also hinein mit den Blättern.


Qat schmeckt extrem bitter. Mir zieht es den Mund zusammen und ich produziere gleichzeitig so viel Spucke, daß ich nicht mehr weiß wohin mit all der Flüssigkeit. Glücklicherweise sehe ich um mich herum einige Männer auf die Straße spucken und ich tue es ihnen gleich, während Fitzel der klein gekauten Blätter aus der Backentasche in meinen Mund wandern und meine Zunge versucht sie vom Rachen fernzuhalten. Ich scheine ziemlich ungeübt in der Kunst des Kauens und habe das Gelächter auf meiner Seite. Denn die Männer um mich herum schieben sich immer mehr Grünzeug zwischen die Lippen und bringen es rund, dabei zu diskutieren. Ich schweige erst einmal und schlucke. Schließlich möchte ich nicht die ganze Straße befeuchten.