Donnerstag, 1. Januar 2009

Häuser


01.01.2009 (29. 12. 2008)

Über eine Brücke, die die Saila überquert, wandere ich Richtung Tahrir-Platz, schaue Kindern beim Luftgewehrschießen zu, sehe mir die Bilder des Präsidenten an, die zum Verkauf angeboten werden, gehe ziellos durch die Straßen, versuche eine jemenitische Telefonkarte für mein Handy zu kaufen, was an Sprachproblemen scheitert, und laufe schließlich in eine Demonstration hinein. Weil ich seit zwei Tagen keine Zeitung gelesen und nicht ferngesehen habe, versuche ich herauszubekommen, was auf dem Zettel steht, den einer der Männer, die auf dem Dach eines Wagens sitzen, in der Hand hält. Dahinter skandieren andere lauthals Parolen, schreien. Aber niemand kann mich aufklären. Die Sprache steht als unüberwindbares Hindernis zwischen mir und den Befragten. Die Demonstration rollt auf den Tahrir-Platz zu. Auch aus anderen Straßen kommen Gruppen von Männern. Wie die Enden eines Sterns laufen sie aufeinander zu. Da Fotos ein wichtiger Bestanteil meiner schriftstellerischen Arbeit sind, ich auf sie zurückgreife, um Orte und Begebenheiten zu beschreiben, greife ich auch in diesem Moment zum Apparat und klicke. Einige der Männer blicken finster, andere strecken mir zwei gespreizte Finger entgegen, machen das Siegeszeichen. Dann schlendere ich weiter. Abends wird Dierk, in dessen Haus ich wohne und der für eine Entwicklungsorganisation arbeitet, mich über die Eskalation im Gazastreifen aufklären. Erst jetzt verstehe ich, was der eine Mann mir entgegen rief und das in meinen Ohren wie „Chasachasa“ klang: „Ghaza, Ghaza.“ Ich hätte doch etwas früher mit Arabisch lernen anfangen sollen.


Noch in den 60er Jahren gab es nur das alte Sanaa innerhalb der Stadtmauern und die Saila, das Trockenbett, war staubiger Grund. 50.000 etwa lebten hier. Heute, 45 Jahre später, sind es mehr als 2 Millionen. Die Menschen bezogen das Wasser aus hauseigenen Ziehbrunnen, die bis zu 60 Meter tief waren. Hussein, der mich in sein Haus einlädt, zeigt mir einen dieser Brunnen, zieht das Seil hoch, an dessen Ende ein Balg aus Ziegenleder hängt. Im Zwischengeschoß gibt es drei einschiebbare Holzstufen in der Wand, die zu einem Lagerraum führen. Wir gehen die massive Wendeltreppe aus Stein, die sich um die Muttersäule des Hauses windet, hoch und ich merke, daß die dünne Luft mich kurzatmig macht. Sanaa liegt zwar nicht höher als 2300 Meter, aber wenn man die Stufen schnell nimmt, wird die Luft knapp. Hussein zeigt auf einen kleinen dunklen Raum, der mit einer Tür versehen ist, die mir bis zum Nabel reicht. Drinnen ist es dunkel.
„Den brauche ich, wenn ich Streit mit meiner Frau habe“, sagt er und lacht schallend. Eine Etage höher gibt es eine Mafradsch, einen Raum, der längs der Wände mit Sitzkissen ausgelegt ist und der als Empfangsraum für Gäste dient. Die Fenster beginnen fast ebenerdig, so daß man auch hinaussehen kann, wenn man auf dem Boden sitzt. Darüber sind halbkreisförmige qamariyas angebracht, Oberlichter aus Gipsstuck, in die farbiges Glas eingesetzt wurde. Das Licht, das in den Raum fällt, rührt so eine farbige Note in den weißen Steinboden, zumindest dort, wo er nicht von Teppichen belegt ist. In der Mitte steht eine große Wasserpfeife, daneben auf einem silbernen Tablett eine Karaffe und Teegläser. Hussein klärt mich auf, daß es sich hierbei nicht um den Mafradsch des Hauses handelt, der sei ganz oben auf der letzten Etage. Das hier sei ein Richterzimmer, ein Raum, in dem sich die Parteien träfen, die ein Problem miteinander hätten, das dann vom Richter im Dialog gelöst werde. Daneben liegt Husseins Bibliothek, die ich aus welchem Grund auch immer nicht betreten darf. Das Haus selbst ist aus gebrannten Ziegelsteinen gebaut, die Zwischenräume wurden mit Steinsplitter und Lehm abgedichtet. Die Wände haben eine Dicke von 50 cm, was gegen die nächtliche Kälte hilft, denn Heizungen gibt es hier nicht, obwohl die Temperatur im Winter bis auf ein Grad fallen kann. Tagsüber heizen sich die Mauern bei über 20 Grad und drückender Sonne wieder auf. Im Sommer aber spenden sie Kühle.
Vom Dach aus habe ich einen grandiosen Ausblick über die Stadt. Ein Haus sieht fantastischer aus als das andere. Ich könnte stundenlang hier oben verweilen. Auf den umliegenden Dächern stehen Satellitenschüsseln, hängt Wäsche zum Trocknen, lungern bullige Wassertanks. Kleine Höfe mit abgerundeten Ecken wirken wie von oben in den Architekturbaukasten eingesetzt.
Hussein sagt, er habe Englisch nur durch die Touristen gelernt, nicht in der Schule. Er wünscht sich mehr Touristen, weil das seinem Land gut täte.
„Massentourismus in Sanaa?“ frage ich.
Er lacht, zeigt seine Zähne: „So viele werden nicht kommen“, antwortet er, „so weit fliegen die wenigsten für eine Stadt. Aber gut, daß du es gemacht hast.“
Auch er trägt, wie viele Jemeniten, einen Krummdolch, die Dschambija, an einem breiten, bestickten Gürtel, der das lange weiße Kleid in der Taille strafft. Darüber hängt ein grüner, winterlicher Armeemantel um seine Schultern. Mir dagegen ist es schon im Hemd zu heiß.